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Gibt es in Deutschland einen Arztmangel?

Portrait Foto von Armin Heils.
Dr. med. Armin Heils
Facharzt für Neurologie und Geriatrie  ⸱
13.9.2024
Ein rotes "Sorry, we're Closed" Schild hängt an einer Glastür von innen.

Es ist tatsächlich wahr. In Deutschland gibt es einen eklatanten Arztmangel. Den spüren Krankenhäuser, wenn sie ihre freien Stellen nicht mehr besetzen können, den spüren die Patienten, wenn in ländlichen Regionen die Hausarztpraxen schließen oder wenn Sie bei einem Facharzt entweder gar nicht mehr angenommen werden oder sehr lange auf den Termin warten müssen.   

Der Arztmangel in Deutschland wird immer schlimmer. Eine Besserung scheint nicht in Sicht. Der Arztmangel in Deutschland – eigentlich doch einem der am meisten entwickelten Länder der Erde – ist das Ergebnis einer fatalen Entwicklung der letzten Jahrzehnte in unterschiedlichen Bereichen und hat viele Gründe, unter anderem ein totales Versagen gesundheitspolitisch Verantwortlicher über Jahrzehnte.    

Demografischer Wandel 

Der Alterungsprozess der Bevölkerung in Deutschland spielt sicher eine zentrale Rolle. Durch die zunehmende Lebenserwartung und die alternde Gesellschaft steigt der Bedarf an medizinischer Versorgung, während gleichzeitig viele Ärzte, die in den 1970er und 1980er Jahren ausgebildet wurden, in den Ruhestand gehen. Dies führt zu einem starken Rückgang der verfügbaren Ärzte, während gleichzeitig die Nachfrage nach medizinischer Versorgung steigt. 

Niedrige Zahl an Studienplätzen 

Trotz des steigenden Bedarfs an Ärzten gibt es seit Jahren eine konstante oder sogar leicht rückläufige Zahl von Medizinstudienplätzen. Die Zulassungsbeschränkungen durch den Numerus Clausus (NC) schränken den Zugang zum Medizinstudium stark ein. Zudem gibt es nicht genug Kapazitäten an Universitäten, um ausreichend Ärzte auszubilden, die den gestiegenen Bedarf decken könnten. Dies zu verhindern, wäre Aufgabe der Politik gewesen. Ist aber nicht geschehen. 

Arbeitsbedingungen und Bürokratie 

Viele Ärzte beklagen die zunehmende Bürokratie und den Verwaltungsaufwand, der zu einer hohen Arbeitsbelastung führt. Besonders in ländlichen Gebieten, wo der Arztmangel oft besonders ausgeprägt ist, müssen Mediziner viele administrative Aufgaben übernehmen, die ihre eigentliche Tätigkeit als Arzt beeinträchtigen. Diese Belastung führt zu einem verstärkten Wunsch nach Teilzeitarbeit oder einem Wechsel in weniger stressige Bereiche der Medizin, was die verfügbare Arbeitszeit von Ärzten weiter reduziert. 

Veränderte Lebensentwürfe 

Viele junge Mediziner streben heute eine bessere Work-Life-Balance an, was den Wunsch nach Teilzeitarbeit oder alternativen Karrierewegen verstärkt. Traditionell arbeitete ein Großteil der Ärzteschaft Vollzeit und oft auch darüber hinaus, aber die jüngere Generation bevorzugt oft flexiblere Arbeitszeiten und eine geringere Wochenarbeitszeit, was zu einer relativen Verknappung an Arztkapazitäten führt. 

Internationaler Wettbewerb 

Viele deutsche Mediziner ziehen es vor, im Ausland zu arbeiten, da Länder wie die Schweiz oder skandinavische Staaten oft bessere Arbeitsbedingungen und Gehälter bieten. Gleichzeitig kommen viele ausländische Ärzte nach Deutschland, um hier zu arbeiten, aber auch diese Zahl ist oft nicht ausreichend, um den wachsenden Bedarf zu decken.  Der Arztmangel hat weitreichende Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung in Deutschland.  Längere Wartezeiten  Patienten müssen oft deutlich länger auf einen Termin warten, insbesondere bei Fachärzten. In ländlichen Regionen kann es Wochen oder sogar Monate dauern, bis ein Arztbesuch möglich ist. Dies gilt besonders für Spezialisten, da der Mangel an Fachärzten besonders stark ausgeprägt ist. Lange Wartezeiten können dazu führen, dass Krankheiten später erkannt und behandelt werden, was die Prognose verschlechtern kann. 

Qualitätsverlust der Versorgung 

Durch den steigenden Druck auf die Ärzte besteht die Gefahr, dass die Qualität der medizinischen Versorgung leidet. Ärzte haben oft weniger Zeit für jeden einzelnen Patienten, was zu einer oberflächlicheren Anamnese und Diagnose führen kann. Dies erhöht das Risiko von Fehldiagnosen oder ineffizienten Behandlungsstrategien, was langfristig die Gesundheit der Patienten beeinträchtigen kann. 

Der Arztmangel in Deutschland wirkt sich negativ auf die Effizienz, Qualität und Gleichheit der Gesundheitsversorgung aus. Längere Wartezeiten, überlastetes Personal und regional ungleiche Versorgung sind nur einige der Folgen. Langfristige Lösungen erfordern Reformen in vielen Bereichen der ärztlichen Versorgung. 

Wie kann das Problem gelöst werden? Können Ärzte aus dem Ausland das Problem beseitigen? 

Ärzte aus dem Ausland können zwar zur Linderung des Arztmangels in Deutschland beitragen, sie werden das Problem jedoch nicht beseitigen. Der systematische Einsatz ausländischer Ärzte kann helfen, die Lücke kurzfristig zu schließen, aber es ist keine nachhaltige Lösung des Problems. Langfristig muss Deutschland die Ausbildung eigener Ärzte verstärken, mehr Studienplätze schaffen und die Arbeitsbedingungen verbessern, um den Nachwuchs im Gesundheitswesen zu sichern und Abwanderung zu verhindern.   

Können Online-Praxen, Telefonsprechstunden und Videosprechstunden einen Beitrag zur Linderung des Problems beitragen? 

Telefon - Videosprechstunden sowie Online-Praxen bieten eine Reihe von Vorteilen, die sicherlich geeignet wären, das Problem des Ärztemangels abzumildern. Besitigen können sie es sicher nicht. Grundsätzlich können wir das Problem nur an der Wurzel packen:  

  • Es müssen mehr Ärzte ausgebildet werden: Die Zahl der Medizinstudienplätze muss erhöht werden. 
  • Durch Reduktion von Bürokratie muss der Arztberuf wieder attraktiver werden 
  • Das Führen einer Arztpraxis sollte für den niedergelassenen Arzt nicht ein unkalkulierbares Risiko werden, wenn ich zum Beispiel an horrende Regressionszahlungen denke, denen manche Ärzte ausgesetzt sind 

In der jetzigen Situation können onlinebasierende Praxen aber schon einen kleinen Beitrag zur Problemlinderung leisten. Das Angebot qualitativ hochwertiger und zeitaufwendiger ärztlicher Angebote könnte spürbar erhöht werden und hat auch weitere Vorteile nicht nur für die Ärzteschaft, sondern auch für Patienten: 

Der finanzielle und unternehmerische Aufwand in einer Online-Praxis ist deutlich geringer.

Das finanzielle Risiko und der Druck, möglichst schnell und umfassend die Investitionen in die Praxis durch eine hohe Zahl rascher Patientenkontakte zu refinanzieren, sind deutlich geringer  Patienten müssen nicht mehr  Wartezimmer warten oder in die Praxis fahren, was besonders in ländlichen Gegenden oder bei knapper Zeit von Vorteil ist. Ebenso ist dies ein Vorteil für Menschen mit Problemen in der Mobilität und Fortbewegung. 

Terminabsprachen sind oft flexibler, da viele Online-Ärzte auch abends oder am Wochenende verfügbar sind und in der Regel über moderne Terminbuchungssysteme verfügen. 

Und nicht zuletzt: In Pandemiezeiten oder bei ansteckenden Krankheiten minimiert eine Online-Konsultation das Risiko, andere Personen in der Arztpraxis anzustecken oder selbst angesteckt zu werden. 

In vielen Fällen ist es einfacher, einen Termin bei einem Online-Spezialisten zu erhalten als in einer konventionellen Arztpraxis, besonders wenn es sich um seltene Fachrichtungen handelt. 

Insgesamt bieten Online-Arztbesuche oder telefonische Beratungen einen erheblichen Vorteil in Bezug auf Flexibilität, Zugänglichkeit und Effizienz. Sie sind zwar kein vollständiger Ersatz für traditionelle Arztbesuche, aber eine sinnvolle Ergänzung zum bisherigen System und können damit sicher einen Beitrag zur Abmilderung des Ärztemangels in Deutschland sein, welcher meiner Ansicht nach die Zukunft unserer ambulanten medizinischen Versorgung in Deutschland massiv gefährden wird.

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